Anja Schindler – Spiegel der Welt

Eine Saison lang bereichert die Künstlerin Anja Schindler (* 1963 in Bremen) mit 20 Installationen den historischen Rundgang von Schloss Gottorf. Nach mehrjähriger Vorarbeit und zahlreichen Besuchen vor Ort, hat sie ihre Kunstwerke im Dialog mit der Geschichte dieses Schlosses, seinen Sammlungen und seinem Garten entwickelt. Entstanden ist eine höchst reizvolle Reise vom Heute in die Glanzzeit des barocken Gottorfer Hofes.

Von der Mitte des 17. bis ins frühe 18. Jahrhundert war die Residenz der Herzöge und Herzoginnen von Schleswig-Holstein-Gottorf eine in ganz Europa berühmte Stätte des Wissens, der bildenden Kunst, Musik und Gartenkunst. Insbesondere die kostbare Bibliothek, die reiche Kunst- und Wunderkammer, der Terrassengarten mit seiner legendären Pflanzensammlung und der begehbare Riesenglobus zogen Bewunderer an. Mit Anja Schindler hat sich nun eine Künstlerin unserer Zeit daran gewagt, den ehemals hier zusammengetragenen und nach 1720 verlorenen Kostbarkeiten und Kuriositäten nachzuspüren: Sie möchte die Atmosphäre jener Zeit in eine eigene aktuelle Bildsprache umsetzen. Dazu interpretiert sie die barocken Ideen in Form von künstlerischen Interventionen an den Originalschauplätzen.

Einst wollte man mit den Kunst- und Wunderkammern die ganze Welt in einen Raum holen, erforschen und verstehen. Die versammelten Objekte spiegelten den (damals bekannten) Kosmos wider. Nun entsteht durch Anja Schindlers Werke ein neuer »Spiegel der Welt«. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treten in Dialog. Unsere Besucher:innen sind eingeladen, sich entlang der leuchtend blauen Kunstinstallationen über zwei Stockwerke auf eine Entdeckungsreise zu begeben, zu Staunen und zu Bewundern.

Die erste große Installation findet sich in der Gotischen Halle. Mit ihrer Installation knüpft Anja Schindler an die ehemalige Nutzung dieses Raumes an: Um 1500 entstanden, wurde der Saal im 17. Jahrhundert als Hofbibliothek genutzt. Eine große und überaus kostbare Büchersammlung wurde hier aufbewahrt. Die Tierkreiszeichen an der Decke des Raumes zeugen noch heute von der ehemaligen Aufstellung der Bücher nach Wissensgebieten. Einen besonderen Schatz der Bibliothek stellte der Gottorfer Codex dar. Dies ist ein vierbändiger Pflanzen- und Blütenatlas von 1649/59 mit 1180 Pflanzenbildern. Anja Schindler erinnert daran mit ihren in Öl eingelegten Pflanzen-Zeichnungen auf alten Dokumenten und den in Gläsern konservierten Früchten und Pflanzenteilen. Aus vielen ihrer Zeichnungen hängen zarte Fäden heraus, die sie organisch wirken lassen und für die »Verbundenheit aller Dinge« (Anja Schindler) stehen.

Von der Mitte des 17. bis ins frühe 18. Jahrhundert war in den anschließenden Räumen die Gottorfer Kunst- und Wunderkammer aufgestellt. Herzog Friedrich III. und Adam Olearius, sein Hofbibliothekar und Berater in allen wissenschaftlichen Fragen, begründeten diese einst berühmte Sammlung. Seit fast 300 Jahren befindet sie sich nicht mehr in Gottorf, sondern in Kopenhagen. Eine solche enzyklopädisch und universal angelegte Kollektion kostbarer, kurioser und seltener Objekte aus Kunst, Wissenschaft und Natur – oftmals aus fernen Ländern stammend – war ein besonderes Prestigeprojekt. Die barocken Fürsten und Gelehrten erhofften sich hier außerdem Erkenntnisse über die Natur und das Leben. Kunst- und Wunderkammern gelten auch als die Vorformen heutiger Museen. Anja Schindler interpretiert mit einer Fülle unterschiedlichster Preziosen dieses Sammeln von Objekten und Wissen über die Welt. Die Betrachtenden sind eingeladen, ihre eigenen Erkenntnisse daraus zu gewinnen.

Durch Anja Schindlers Gottorfer Arbeiten zieht sich die Beschäftigung mit Pflanzen und deren Relikten. Im 17. Jahrhundert genoss die nördlich des Schlosses gelegene Gartenanlage, der heute rekonstruierte Barockgarten, weite Berühmtheit. Mitten im Dreißigjährigen Krieg beauftragte Herzog Friedrich III. ab 1637 seinen Hofgärtner Johannes Clodius mit dieser Anlage, die sein Nachfolger Herzog Christian Albrecht ab 1660 um vier Terrassen glanzvoll erweiterte. Eine Besonderheit war der Garten insbesondere wegen der hier versammelten botanischen Raritäten. Er bildete das lebendige Gegenstück zur Kunst- und Wunderkammer des Herzogs. Beides entsprang sowohl den ausgeprägten wissenschaftlichen Interessen Friedrichs III. und Christian Albrechts als auch barocker Sammelleidenschaft. Anja Schindler hat sich von den dort einst angepflanzten Spezies anregen lassen und sie in getrockneter und blau verwandelter Form ins Schloss geholt: Einige der kostbaren Fayence-Vasen und Blumen-Steckkästen des 18. Jahrhunderts aus der Museumssammlung erhalten so auf Zeit ihre historische Funktion zurück und verwandeln sich zugleich in zeitgenössische Plastiken.

Anja Schindler ist fasziniert von der reichen Geschichte der ehemaligen Residenz Gottorf, einem der kulturellen Zentren Nordeuropas im 17. Jahrhundert. Mit ihren Installationen schlägt sie eine Brücke vom Barock ins Heute und erinnert an diesen Hof, an dem man nicht auf den Krieg, sondern auf die Künste und Wissenschaften setzte.

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