Imran Perretta – tears of the fatherland

Imran Perretta arbeitet transdisziplinär mit Bewegtbildern, Sound, Komposition, Performance und Poesie. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit Fragen zu Macht, staatlicher Überwachung, Alterität, Neokolonialität und dem Prozess der Identitätsbildung junger Menschen mit muslimischem Erbe in westlichen Ländern in der Ära nach 9/11. Er blickt auf diese Themen vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen, denn als Brite mit muslimischen Wurzeln kennt er die Problematiken, die er in seinen Arbeiten thematisiert.

In der Secession zeigt Perretta seine jüngste Sound- und Videoinstallation, the destructors (2019), und eine neue, eigens für die Ausstellung produzierte Sound-Installation. Der Ausstellungstitel ist dem Gedicht von Andreas Gryphius aus dem Jahr 1636 entliehen, in dem die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges beklagt werden, in dem Perretta Parallelen zum heutigen Krieg gegen den Terrorismus sieht.

the destructors erforscht persönliche und kollektive Erfahrungen von Marginalisierung und Entfremdung. Der eigentlichen Filmproduktion gingen Workshops mit Jugendlichen voraus, in denen über die geteilte Erfahrung des Aufwachsens in einer Gesellschaft, die sie sowohl als physische als auch als ideologische Bedrohung ansieht, gesprochen wurde. In der Folge verfasste der Künstler mehrere Gedichte, die von professionellen Schauspielern im Film gesprochen werden und in denen er persönliche Erfahrungen verarbeitet.

Ein in die Jahre gekommenes Gemeindezentrum in Tower Hamlets im Osten Londons, einem Stadtteil, der für seinen hohen Anteil an British-Bangladeshi bekannt ist, bildet die symbolisch aufgeladene architektonische Kulisse. Im Mittelpunkt der Arbeit steht eine Gruppe von vier jungen südasiatischen Männern mit muslimischem Hintergrund. Der Film, der auf zwei eng nebeneinanderstehenden Leinwänden projiziert wird, ist rhythmisch strukturiert und mit rhythmischen Klatschen der Darsteller beginnt er auch. Die geteilte Leinwand ist ein kompositorisches Element der Arbeit, denn die Projektion wechselt mehrfach vom Vollbild zum Split-Screen und setzt die Darsteller in Dialog mit metaphorisch ausdrucksstarken Raumansichten. Weißer und schwarzer Nebel und die zunehmende Überflutung des Gebäudes unterstützen die Stimmungslage des Films und begleiten die zwischen Wut, Trauer und Resignation changierende Tonalität der Monologe. Gleichzeitig eröffnen diese den Protagonisten die Möglichkeit zu Widerstand, sich zu behaupten und Vorurteilen entgegenzustellen. Die Texte beschreiben ein Trauma, das durch Anschuldigungen und absurde Generalisierungen hervorgerufen wird und unter dem viele Menschen mit muslimischen Wurzeln leiden. Die Zeile »›I forgive you‹ he said › the bombs‹« ist ein dramatisches Beispiel für die Anklagen, die im Raum stehen. 

Der Titel ist einer Kurzgeschichte von Graham Greene aus dem Jahr 1954 entlehnt, die im London der Nachkriegszeit spielt und von einer Gruppe junger Leute handelt, die das Haus eines alten Mannes zerstören wollen. Perretta hat das Buch als Teenager zur Zeit der Terroranschläge von 9/11 gelesen und Parallelen zwischen der im Buch beschriebenen Bande und der medialen Darstellung von »jungen Braunen Männern wie mir in der Anfangszeit des Kriegs gegen den Terror«* erkannt.

Ausgangspunkt für trying to disappear ist ein Gedicht desselben Titels, das zuerst etwa zur Zeit der Arbeit an the destructors entstand und sich als eine Art Epilog dazu lesen lässt, der weiter den Auswirkungen von Angst, Entfremdung und staatlicher Gewalt auf Randgruppen nachspürt. Aus einer leistungsstarken 5.1-Surround-Sound-Anlage erklingt eine vielschichtige Komposition aus Kinoklangeffekten, charakteristischen Nachvertonungsgeräuschen, Außenaufnahmen und Orchestermotiven, mit denen typischerweise Kriegs- und Spionagefilmen  unterlegt werden. Als Kontrapunkt zum Gedicht erkundet die akustische Komponente der Arbeit den militärischen Unterhaltungskomplex, die ihn tragende »Frequenzpolitik« und die filmische Konstruktion von Konflikt – ganz ohne den Einsatz von Bewegtbildern.

*Imran Perretta im Handout zu seiner Ausstellung in der Chisenhale Gallery, 2020

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