Zhou Siwei – I Sold What I Grow

Zhou Siwei übersetzt die Widersprüche des Lebens und Arbeitens im heutigen China in spielerische, persönlich fragmentierte und nichtlineare Arbeiten auf Leinwand und bemalte Objekte. In einer Auseinandersetzung mit der Ambivalenz digitaler Technologien, dem unaufhörlichen weltweiten Güterverkehr und der Schlaflosigkeit der spätkapitalistischen Ära verwebt Zhou diverse visuelle und kulturelle Einflüsse so miteinander, dass Gegenstände und Zeichen aus dem Alltag zugleich vertraut und fremd wirken und vielfältige Deutungen zulassen.

Anlässlich seiner Ausstellung I Sold What I Grow in der Secession hat Zhou eine Serie neuer Arbeiten geschaffen, die sich um das Leitmotiv des Apfels drehen: von der anspruchslosen Frucht, die an allen Enden der Welt geerntet wird, über ihre Simulakren in den Stillleben Brueghels und Cézannes (die wiederum an den Kunstakademien Chinas gewissenhaft studiert und kopiert wurden) bis hin zu ihrer auf Graustufen reduzierten Allgegenwart auf Laptops, Smartphones und anderen »i-Produkten«. Den Besucher:innen eröffnen sich in den Galerien im Untergeschoss der Secession drei sehr verschiedene Konstellationen von Objekten sowie Räume zum Herumschlendern und Betrachten. Der erste Raum zeigt zwei neue Arbeiten, die Vorstellungen von Traum und Fantasie erkunden: in APPLE (EV SLEEP naked) (2021–2023) erscheint eine Figur eingeschlossen in einer knolligen, halborganischen Form, die an das Elektroautoprojekt »Titan« erinnert, das Apple angeblich entwickelte (um es dann fallenzulassen und sich auf Generative-KI-Projekte zu konzentrieren); hier spielen auch die Räder auf die diversen Versionen des Apfels in der visuellen Kultur an. Kombiniert ist die Arbeit mit Tattoo (Drifting Flame Malevich) (2023), wo die chinesischen Schriftzeichen für »umherstreifen« (流浪) in eines von Malewitschs suprematistischen Gemälden eingelassen (»tätowiert«) sind, das wiederum durch die Einarbeitung einer als Tätowierung beliebten grafischen Darstellung einer Flamme (die an die westliche Vorliebe dafür, sich chinesische Schriftzeichen stechen zu lassen) in der wirklichen Welt verankert ist.

Umgeben sind diese Arbeiten von einer Reihe bemalter Gegenstände, die auf den ersten Blick Smartphone- und iPad-Hüllen ähneln. Die mit einem 3D-Drucker unter Verwendung empfindlicher oder organischer Materialien wie Maisstärke hergestellten, dynamischen und zugleich zerbrechlichen Objekte reflektieren einerseits auf den verbreiteten Gebrauch solcher Hüllen als persönlicher und geradezu intimer Ort der Begegnung zwischen dem elektronischen Gerät und der Haut der:s Benutzers:in, andererseits auf die recht standardisierten Formen der »Individualisierung«, die sich mit der Wahl einer anderen Farbe oder Gestaltung eines Mobilgeräts verbinden.

Die Verschmelzung von »Berührung« und »persönlicher Note« verdeutlichen auch die Botschaften und Slogans wie »du fehlst mir« (想你) oder »nicht müde« (不累), die in die Hüllen eingeritzt sind, als hätte jemand mit einem Schlüssel ein Auto »verziert«, auch das ein Weg, eine individuelle »Spur« zu hinterlassen. Diese Elemente stehen beispielhaft für Zhous Verwendung von Sprache: Die Titel der Arbeiten beschränken sich auf Nomina, während die Adjektive entweder aus der Auseinandersetzung der Betrachter:innen mit ihnen oder ihrer Reaktion auf sie erschlossen werden müssen oder ihren Oberflächen selbst einbeschrieben sind.

Die Vorstellung des Markierens setzt sich dann in den zwei kleinen Arbeiten fort, die wie eine Grammatik den nächsten Raum interpunktieren. Ein winziges silbernes Etui (in das offensichtlich kein Telefon passen würde) mit dem eingravierten Wort »Emotion« (情) und ein Stillleben, das einen Apfel inmitten eines in unbestimmtem Violett gehaltenen Farbfelds zeigt, bilden eine Klammer um die unzähligen Anspielungen und Assoziationsmöglichkeiten in der Ausstellung insgesamt wie auch um Zhous eigenen künstlerischen Weg von der Akademie (wo Student:innen nach ihrer Fähigkeit bewertet wurden, den Realismus gemalter Gegenstände wie dieser zu reproduzieren) in die Gegenwart mit ihrer Zirkulation digitaler Bilder auf mobilen Endgeräten.

Diese Themen vertieft der letzte Galerieraum, in dem mehrere neue Gruppen von bemalten Objekten und Arbeiten auf Leinen zu sehen sind, die um Fragen von Figur und Mythos und das allgegenwärtige Apfelmotiv kreisen. Neben dem jeweils eigenen Thema veranschaulichen die Bilder in dieser Galerie auch eine Verknüpfung diverser stilistischer und materieller Erwägungen, mit denen zeitgenössische Maler:innen sich fortlaufend auseinandersetzen. Am deutlichsten wird das in der Wiederkehr des modernistischen Rasters in mehreren der Bilder – in einem Fall scheint es einfach für das Muster eines Kleidungsstücks zu stehen, während an anderer Stelle ein Bambuszaun (ein wichtiges Motiv, das bei Zhou oft erscheint) in eine beinahe neoplastizistische Demarkation eines abstrakten Raums à la Mondrian übergeht. Diese streng-kantige Behandlung der Linie wird in einer anderen Arbeit völlig aufgegeben, wo diese stattdessen durch zunehmend expressive und stürmische Pinselstriche über einer sonst beinah flachen Farbebene erzeugt wird. (Um diesen Effekt zu erzielen, befestigte der Künstler seinen Pinsel am Ende einer Angelrute, was den Gegensatz zwischen einer solchen scheinbar planlosen Malweise und Matisses sorgfältig gesteuerter Verwendung eines Bambusrohrs bei seinen späteren Großformaten unterstreicht.) Die Studie zur Verschmelzung von Form (Linie/Raster) und Inhalt (Bambus) findet in der letzten Arbeit in der Ausstellung ihre Auflösung, wo die kantige Linie wiederkehrt, um einen Bambushut darzustellen, wie ihn normalerweise Bäuerinnen und Bauern tragen; hier jedoch ziert er den Kopf einer zudem mit herzförmigen Tätowierungen geschmückten Schlange, die einen Apfel darbietet – aus dem Garten Eden oder aus Cupertino, das muss offenbleiben.

Dieses letzte Bild verdeutlicht beispielhaft die kritische Untersuchung unsteter Zeichen und Dinge, die Zhous Werk der letzten Jahre prägt, einer Phase, die durch radikale Einschränkungen von Informationsflüssen und körperlicher Bewegungsfreiheit im Zuge des durch COVID-19 ausgelösten Gesundheitsnotstands und der Folgezeit bestimmt war. Indem sie diese widersprüchlichen Entwicklungsbahnen – die Beschleunigung der Zeichen- und Datenflüsse im Kontrast mit der verlangsamten oder verzögerten Bewegung von Körpern und Dingen – in den Vordergrund rücken, spielen seine scheinbar farbenfrohen Objekte auch auf die launenhaften Kräfte an, die an der Gesellschaft zerren und sie einerseits in die bei Populist:innen und konservativen gesellschaftlichen Kräften so beliebte unbestimmte bukolische »Vergangenheit«, andererseits in die von Tech-Unternehmer:innen gepredigte idealisierte Zukunft reibungsloser digitaler Netzwerke ziehen wollen. 
I Sold What I Grow macht sich diese scheinbar unlösbaren Spannungen zwischen Vergangenheit und Zukunft zu eigen – darauf verweist das »gebrochene« Englisch des Titels mit seiner Verschmelzung oder Verwechslung der Zeitformen – und verweist so darauf, wie es sich anfühlt, in einer zunehmend zersplitterten Gegenwart zu malen.

Zhou Siwei, geboren 1981 in Chongqing, lebt und arbeitet in Shanghai.

Kuratiert von Damian Lentini

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